«Hugo Ball Brevier» – Oliver Augst, Reto Friedmann

Deutschlandpremiere:

Montag 27. Juni, Club Voltaire (kleine Hochstraße 5), Frankfurt
Dienstag 28. Juni, Gallus Theater (Kleyerstraße 15) Frankfurt

Dauer: ca. 1 Stunde

 

Besetzung

Oliver Augst

Gesang, Komposition – Vertonung von Gedichten Hugo Balls

Reto Friedmann

Rezitation, Text – Lyrische Paraphrasen zu Hugo Ball

 

«Hugo Ball Brevier»
Ein Bühnen- und Hörspiel von Oliver Augst und Reto Friedmann

2016 jährt sich die Gründung des von Hugo Ball initiierten Dadaismus zum hundertsten Mal. Der Komponist und Performer Oliver Augst und der Radio- und Sprachkünstler Reto Friedmann nähern sich singend und rezitierend Balls schillernder Persönlichkeit an. Hugo Ball war es ein Anliegen, die Kongruenz seiner Persönlichkeit zu betonen. Doch wie soll man sich einen dadaistischen Katholiken, einen katholischen Anarchisten oder einen anarchistischen Dadaisten vorstellen? Das Bühnenspiel «Hugo Ball Brevier» folgt seinem Anliegen und versucht ein solches Bild seiner Persönlichkeit zu zeichnen. Darauf nimmt auch der Titel «Hugo Ball Brevier» Bezug, indem dieser zugleich auf Balls Buch «Michael Bakunin. Ein Brevier» sowie auf das katholische Brevier der Geistlichen (Stundengebet) verweist. Parallel zur Entwicklung des Bühnenspiels produzieren Oliver Augst und Reto Friedmann im eigenen Studio das gleichnamige Hörspiel «Hugo Ball Brevier».

 

Hintergrund

Hugo Balls Erfahrung mit dem Schrecken des Ersten Weltkriegs treibt ihn an, eine philosophisch-religiöse Grundlage als Alternative zur ‹barbarischen› und ‹maschinengläubigen› Gesellschaft zu finden. Der militarisierten Gesellschaft tritt er mit dem Dadaismus entgegen, wählt den Anarchismus als Alternative zur Herrschaft des Kapitals und findet im Katholizismus eine Grundlage zur moralischen Erneuerung.

Diese Verbindung von Dadaismus, Anarchismus und Katholizismus wollen seine Zeitgenossen nicht nachvollziehen. Seine dadaistischen Freunde halten Balls religiöse Veränderung für einen Abweg und versuchen ihn davon abzubringen, den anarchistischen Mitstreitern ist Balls Katholizismus suspekt und die katholischen Exponenten seiner Zeit reiben sich ob des christlichen Querschlägers verwundert die Augen. Diesem Unverständnis gegenüber seiner Biografie wirkt Hugo Ball entgegen, indem er sein Tagebuch «Die Flucht aus der Zeit» rückwirkend überarbeitet und veröffentlicht, um so eine Stringenz seines Denkens aufzuzeigen. Aber erst die jüngere Ballforschung übernimmt eine solche integrierende Gesamtsicht auf die Person Hugo Ball.

 

Ansatz

Bei Balls dadaistischer Phase handelt es sich um einen Lebens- und Schaffensabschnitt von kaum einem Jahr. Diesem Umstand will das «Hugo Ball Brevier» Rechnung tragen, indem es den Dadaisten-Ball, den Anarchisten-Ball und den Katholiken-Ball in einem Spiel zu Hugo Ball zusammenfügt. Der Ball springt im Bühnen- und im Hörspiel von Ball zu Ball, als Ergebnis entsteht eine Sichtweise auf Balls Biografie, die den Dadaisten, den Anarchisten und den Katholiken zu einem neuen Ganzen verschmilzt.

 

Texte

Zitate, Paraphrasen, Verdichtungen, Zuordnungen, Listen von Namen und Stichworten. Um Hugo Balls Haltung als Dadaist, Anarchist und Katholik gegenüber der entfesselten Kriegsrhetorik seiner Zeit verstehen zu lernen, lohnt sich ein Blick auf sein weitläufiges Beziehungsnetz zu Künstlern, Literaten, Verlegern, Philosophen, Journalisten, Geistlichen, Freunden, Verwandten und Nachbarn. In Tagebuchnotizen, Briefen, Artikeln, politischen Schriften, aber auch in biografischer Literatur seiner Ehefrau, der Dichterin Emmy Hennings, und in Beiträgen Hermann Hesses kommt ein Hugo Ball zum Ausdruck, der in unermüdlichem Austausch mit Zeitgenossen nach Antworten auf die grossen Fragen seiner Zeit sucht und zur Heilung der ‹Zeitkrankheit› beizutragen versucht. Dieses Beziehungsnetz und die darin eingelagerten Diskurse, Gedanken, Freuden und Enttäuschungen verdichten sich im Hörspiel zu neuen Texten über Hugo Ball, welche sich zusammen mit den literarischen Fundstücken zu einer ‹Flucht zum Grunde› einer komplexen Persönlichkeit aufmachen. Eine textliche Verdichtung fokussiert beispielsweise Balls anfängliche Begeisterung für Marinettis Futurismus und dessen Deutung des Krieges als futuristisches Gesamtkunstwerk, aber auch seine baldige Abwendung von der ‹Maschinengläubigkeit› und Schöpfung einer dadaistischen Dichtung gegen den Krieg nach der Erfahrung des Todes mit dem an den Folgen des Kriegsdienstes verstorbenen engen Dichterfreundes Hans Leybold. Weitere Verdichtungen sind zu neuralgischen Themen und Stationen im Leben von Hugo Ball vorgesehen, wie beispielsweise zur Anarchie, die er wie sein Freund Wassily Kandinsky als ein Handeln aus innerer Notwendigkeit versteht oder auch zu Balls patristisch geprägter Rekonversion zum Glauben.

 

Musik

«Alles muss haargenau in eine tosende Ordnung gebracht werden.» (Antonin Artaud)

Die Vertonung geht vom Klang Balls Wörter und vom offenen Charakter seiner (früheren) Texte aus, und setzt mit beweglichen und wendigen kompositorischen Gestaltungsverfahren an. Der Charakter und Formverlauf eines Gesangs/Liedfragments wird grob festgelegt. Diese Vorgabe wird mit Hilfe der gelenkten Improvisation spontan überprüft, variiert und präzisiert. Auf Instrumente wird verzichtet. Es handelt sich also um eine A-cappella-Produktion. Die musikalische Umsetzung greift das Launische, Sprunghafte, Lautmalerische und Geheimnisvolle von Balls Texten auf. Gesungen, gesprochen und vorgetragen wird sachlich, lakonisch und mit zurückhaltender Anspannung. Die Art des Vortragens soll auf Drama, Pathos, humorvolle Übersteigerung und Wertung verzichten. Angestrebt wird eine klare Diktion und eine deutliche Ausformulierung. Nur selten sollen Grenzbereiche des Singens, des Flüsterns und des Schreiens gestreift werden, um gegebenenfalls einer Passage Nachdruck zu verleihen. Die kleinen Formen bestehen aus liedhaften Vertonungen. Es handelt sich um kleine Gebilde unter Verwendung der eigenartigen sturschönen Strukturen der dadaistischen Texte und Lautgedichte sowie um poetische Notizen, die nicht auf Rundheit, Ausgewogenheit und schon gar nicht auf Wohlklang abzielen, in denen es um das Denken, die Sorge, die Sprache des Philosophen, des Menschen Hugo Ball, seines Filterns von Kunst, Gesellschaft, Religion, die grossen Fragen seiner Zeit geht. Bei der grossen Form handelt es sich um einen «Liederzyklus» mit zusätzlich gesprochenen Texten zwischen den Liedern und Gesangsfragmenten. Die Elemente der grossen Form sind ineinander verzahnt, verwoben oder parallelisiert. Nachsinnen in Tönen.

Oliver Augst (*1962) in Andernach am Rhein, ist Sänger, Komponist, Produzent und Hörspielautor. Er studierte visuelle Kommunikation mit Schwerpunkt Bühne an der Hochschule für Gestaltung Offenbach und Popularmusik / Performance an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Hamburg. Er erhielt zahlreiche Stipendien und Förderungen, z. B. ein DAAD-Stipendium für freie Kunst (Wien 1994) sowie ein Stipendium für Komposition an der Akademie Schloss Solitude (Stuttgart 1995).

Seine Musik-, Theater-, und Hörspielproduktionen, u. a. in Zusammenarbeit mit Rüdiger Carl, Christoph Korn (Trio BLANK), Marcel Daemgen (Band ARBEIT und Electronic Music Theater), dem Medienkünstler Stefan Beck, dem US-amerikanischen Zeichner und Poeten Raymond Pettibon, Blixa Bargeld und zuletzt mit dem schwedischen Performancekünstler und Schlagzeuger Sven-Åke Johansson werden seit 1991 international präsentiert.

Für den japanischen Konzeptkünstler On Kawara übernahm Oliver Augst (mit Christoph Korn) 2002 die Regie bei der hr-Hörfunk-Produktion ONE MILLION YEARS (bestehend aus 32 CDs) und setzte die gleichnamige Arbeit als Live-Installation auf der documenta 11 im Kasseler Fridericianum um.

Zusammen mit Raymond Pettibon realisierte er 2007 das Musical «The Whole World is Watching» (mit Schorsch Kamerun, Keiji Haino und Marcel Daemgen) im Rahmen des Festivals MaerzMusik der Berliner Festspiele. 2008 wurde die Hörspielversion von «The Whole World is Watching» für den Prix Italia nominiert und in die Shortlist der Kategorie Radio Composition aufgenommen. Im selben Jahr zeichnete die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste das zusammen mit Rüdiger Carl entstandene Hörspiel KIPPENBERGER HÖREN als Hörspiel des Monats aus.

Oliver Augst ist auch als Kurator tätig, z. B. für das «pol» Festival neue Musik (1999–2003), die «Audio Art Series» (2005–2007) im Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt und 2009 bis 2011 für die Konzertreihe «What Is Music?» im «raum für kultur» des Gallileo-Art-Tower der Commerzbank in Frankfurt. 2012 Konzert- und Workshopreihe «The World Through Your Ears» im Weltkulturen Museum Frankfurt.

Oliver Augst war Musikalischer Leiter der Veranstaltungsreihe «Utopie Station» am Nationaltheater Mannheim. Er lebt und arbeitet in Paris.

Weitere Informationen: www.textxtnd.de

 

Reto Friedmann (*1965) ist Radiokünstler, Journalist und vormals Geschäftsführer der Verbandsradioschule Klipp & Klang Radiokurse. Seine Auseinandersetzung mit dem Medium Radio führte ihn zur Technik des Collagierens, mit der er vorgefundenes Audiomaterial zueinander in Beziehung setzen konnte. Die Sinnkonstruktion entsteht dabei individuell verschieden beim Hören. Für das Experimentieren mit dem Medium Radio stellten sich die freien nichtkommerziellen Radios als ideales Biotop heraus. Mit der Gründung und Leitung von SO21 Kunstradio, dem Mitveranstalten des Hörspielwettbewerbs Hörnetz3 und des Reiseradios schuf Friedmann in diesem Umfeld ein Netzwerk für Radiokunst. Im Rahmen der Gründung und Betriebsleitung der Verbandsradioschule Klipp & Klang Radiokurse organisierte er Veranstaltungen in der Roten Fabrik, der Shedhalle Zürich, im Combirama und der Reithalle Bern zu politischen und künstlerischen Fragen rund um das Radio und veröffentlichte in der Folge verschiedene Publikationen. Bei seiner künstlerischen Arbeit beschäftigte er sich zunehmend mit der Frage, wie der gesprochene Text im Hörspiel zu seiner Melodie und zu seinem Rhythmus kommt. Zusammen mit Annette Schmucki und Udo Israel entwickelte Friedmann unter dem Label «Blablabor» ein Verfahren, um aus dem gesprochenen Text die Melodie und den Rhythmus für Gesang und Instrumente destillieren zu können. Das erste auf diese Weise entstandene Hörspiel war die «Ungefähre». Seit 1998 werden die Hörspielproduktionen von öffentlich-rechtlichen Radios übernommen. Aus seinem Interesse an existenziellen Fragen studiert Friedmann Religionslehre in Luzern. Zudem schloss er an der Universität Fribourg den DAS in christlicher Spiritualität ab. Gegenwärtig arbeiter er an einer Verbindung von Radio, Kunst, Religion und Pädagogik.

Weitere Infos: www.blablabor.ch

 

Eine Produktion von textXTND in Zusammenarbeit mit Reto Friedmann

Mit Unterstützung der Ernst Göhner Stiftung (CH), der Kulturstiftung des Kantons Thurgau (CH), der Kulturförderung des Kantons Schaffhausen (CH), dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst (D), sowie dem Kulturamt der Stadt Frankfurt am Main.

Das Institut für Neue Musik und Musikerziehung Darmstadt fördert zeitgenössische Musik aller Bereiche und ihre pädagogische Vermittlung.

Das thematische Spektrum reicht von der Tradition der kompositorischen Avantgarde über Klangkunst, Performance, Neue Medien und grenzüberschreitende Konzepte bis zur Improvisation, zum Jazz und zur Musik der Jugendkulturen.

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